Mahara Hui 2017


„Agile Learning Culture for Success” war das Motto der 5. Mahara Hui, die Fachtatung für Portfolioarbeit im Barcamp-Format vom 30. November bis 2. Dezember. Mahara ist eine Open-Source-Software für E-Portfolios, die insbesondere von Schulen und Universitäten, aber zunehmend auch von Unternehmen benutzt wird. „Hui” ist Maori und bedeutet so viel wie „Zusammenkunft”. Bei dieser Zusammenkunft ging es nicht nur um die Mahara-Software selbst, sondern allgemein um das Thema Lernen heute und in der Zukunft und wie zeitgemäße technische und organisatorische Ansätze nützlich sein können. Ausgerichtet wurde das Barcamp von Lpaso, dem Institut für Lernkultur in den Räumlichkeiten der Max-Eyth-Schule Kassel.

Tag 1

Nach kurzer Suche fanden meine Arbeitskollegen von plentymarkets und ich die Anmeldung im 1. OG der Max-Eyth-Schule. Alles verlief entspannt und problemlos. Für Kaffee und Donuts war gesorgt. So kann es gern starten.

Technologieunterstütztes Lehren und Lernen

Das Barcamp begann am Samstagmorgen mit einer Keynote von Dr. Thomas Strasser, Professor für Fremdsprachendidaktik und technologieunterstütztes Lehren und Lernen an der Pädagogischen Hochschule in Wien. Hier ging es darum, wie Smartphones und Apps nutzbringend in den Schulunterricht integriert werden können, statt dies zu verteufeln und zu verbannen. Unter anderem war dabei die Live-Demo von Aurasma interessant. Mit der App lassen sich mittels Augmented Reality Videos und andere Inhalte in der realen Welt „verstecken”, egal ob in Schulbüchern oder im Museum. Diese können darauf von den Schülern interaktiv entdeckt werden.

Kritisch sehe ich an solchen Entwicklungen, ähnlich wie in Unternehmen, dass mit dieser „Tool-Geilheit” die eigentlichen Probleme mit scheinbar einfachen Lösungen übertüncht werden. Im komplexen Umfeld, wie es ein Klassenraum mit Lernenden wohl ist, können solche Tools immer nur ein Begleiter und Unterstützter sein und ersetzen nicht eine gute pädagogische und didaktische Grundlage und Vorbereitung.

Vorstellung und Agenda

Es folgte die Vorstellung der insgesamt etwa 150 Teilnehmer. Die allermeisten Besucher stammten aus dem Bildungswesen. Meine Kollegen und ich waren einer der wenigen Vertreter aus der Wirtschaft. An der Reaktion der Teilnehmer war zu erkennen, dass wir auf dieser Konferenz die Wundertiere sein würden.

agenda

Die gemeinsam erstellte Agenda umfasste neben dem Hauptthema Mahara die Themen Digitalisierung, Industrie 4.0, Lern-Tools, Agile (insbesondere eduScrum) und Veränderungsarbeit im und am Schulsystem. Ich konzentrierte mich an diesem Tag auf die Themen Digitalisierung und Industrie 4.0 (trotz vermeintlichem Buzzword-Hagel) und eduScrum.

Digitalisierung und Industrie 4.0

Die Session stellte die Frage, wie sich Angebote der berufsbildenden Schulen für Vertreter aus Handwerk und Industrie inhaltlich an die Verwerfungen durch die sogenannte Digitalisierung und Industrie 4.0 anpassen müssen. Ausgangspunkt war ein Schulungskonzept, das versucht, die Industrie in verschiedene Segmente zu Unterteilen, beispielsweise Konstruktion, Teilefertigung, Montage usw. Je Segment sollten User Stories entwickelt werden, die in einer „Geschichte” auf die jeweiligen Besonderheiten eingeht. Story Telling ist hier sicher ein guter Ansatz. Rückblickend frage ich mich aber, ob diese segmentäre Trennung nicht das Silodenken innerhalb der Industrie unterstützt und den holistischen Ansatz, den die Industrie von Morgen sicherlich braucht, ignoriert. Damit meine ich, dass die „Fabrik von morgen” weitgehend unabhängig von Zulieferern sein und kurze Feedbackschleifen von der Konstruktion hin zum Kunden besitzen muss, um das Lernen und das Anpassen von Fertigungsprozessen an die Marktbedürfnisse zu beschleunigen. Ganz agil halt.

Jedoch sind sind wir thematisch schnell abgedriftet und haben vor allem die Eigenschaften diskutiert, die Mitarbeiter in einer „digitalisierten Welt” mitbringen müssen. Für mich stellt sich hier vor allem das Problem, dass die einfachen Arbeiten, die von Maschinen erledigt werden können, wegfallen werden. Übrig bleiben nur noch die schwierigen Aufgaben, die Meisterschaft verlangen. Meiner Meinung nach müssen Schulen und berufliche Bildung dabei helfen, genau solche Menschen hervorzubringen. Bei der betriebliche Ausbildung von Azubis kann es dann nicht mehr (nur) darum gehen, die einfachen Handgriffe zu vermitteln, sondern zukünftige Meister ihres Fachs heranzuziehen. Das erfordert vor allem von den Ausbildern und Handwerksmeistern ein ganz anderes Skill-Set, nämlich über das rein fachliche Können hinaus Fähigkeiten im (Lern-)Coaching. Dazu kommt, dass Mitarbeiter zukünftig wohl mehr in interdisziplinären Teams arbeiten müssen, um gemeinsam exzellente Gesamtlösungen zu erstellen. Das erfordert vom Mitarbeiter Wissen aus der jeweils anderen Disziplin. Die Mitarbeiter müssen also T-geformt ausgebildet werden und bleiben. Das führt automatisch zu einer T-transformation der Ausbildung, weg von monothematischen Ausbildungsberufen hin zu Schwerpunktberufen. Wie da der aktuelle Stand der Überlegungen ist, weiß ich momentan leider nicht. Ist aber ein spannendes Feld!

Damit gab die Session einen Vorgeschmack auf die Themen, die Gunther Dueck mit seiner Keynote des nächsten Tages provozieren sollte.

Ubongo Flow Game

In meine eigenen Workshops integriere ich immer wieder Spiele, um den Teilnehmern bestimmte Kernpunkte zu verdeutlichen. Die Theorie zu kennen und zu verstehen ist das eine. Sie in der Praxis und mit eigenen Händen wirklich zu erleben, ist etwas ganz anderes. So werde ich immer neugierig, wenn ich von Agile Games höre, die ich noch nicht kenne.

Das Ubongo Flow Game simuliert drei Workflows: Wasserfall, Kanban und Scrum. Die Basis stellt der Spieleklassiker Ubongo dar.

Im ersten Durchlauf werden feste Rollen verteilt: Auftraggeber, Analyst, Lieferant, Entwickler, Protokollant und Manager. Der Auftrag ist, ausgehend von einer Spielkarte eine Puzzle-Platte mit einem bestimmten Muster zu finden und dieses Muster anhand der Vorgaben nachzubauen. Dabei werden die Puzzle-Platten in 6er-Paketen in den Prozess gegeben, wobei das Paket immer nur als Ganzes in den nächsten Arbeitsschritt (z.B. Analyse) gelangen darf. Das sollte den klassischen Wasserfall-Prozess darstellen. Wie früh abzusehen war: Wir bekamen massive Zeitprobleme und letztendlich war nichts wirklich fertig.

Für den zweiten Durchlauf blieben die Regeln gleich, es sollten jedoch Arbeitspakete in Größe „1” weitergegeben werden, statt in 6er-Paketen. Gleichzeitig wurde vor jedem Prozessbeteiligten ein Puffer von maximal zwei Arbeitspaketen geschaffen. Das sollte die Lean-Prinzipien „Small Batch Size” und „Limit Work in Progress” simulieren. Damit konnten wir tatsächlich ein paar Puzzle komplett fertigstellen. In dieser Runde war ich Entwickler und hatte beim Puzzeln sogar einen Flow-Moment. Interessant war, dass selbst diese kleine Regeländerung trotz unveränderter Rollen schon einen großen Unterschied gemacht hat.

Wo der zweite Durchlauf noch eher evolutionäre Veränderungen brachte, wurde es im dritten Durchlauf revolutionär anders. Die Rollen Entwickler, Zulieferer und Analyst wurden alle zum „Entwickler” zusammengefasst. Diese arbeiteten nun gemeinsam ohne äußerlich definierte Prozessschritte in kurzen Iterationen. Unterbrochen wurde das Puzzeln von Retrospektiven, in denen wir unsere Vorgangsweise hinterfragten und ggf. anpassten. Durch die bessere Arbeitsteilung und Konzentration aufs „fertig werden” erzielten wir hier die mit abstand besten Ergebnisse.

Ubongo Flow Game

Wie gut ist das Ubongo Flow Game? Natürlich tilgt so ein Spiel viele für die Praxis notwendigen Details. Auch fehlte mit den relativ klaren Vorgaben der Ubongo-Puzzle der komplex-kreative Aspekt, den Lego-Simulationen wie das Scrum Lego City Game oder das Walking Skeleton Game vermitteln können. Jedoch war der Aha-Effekt, der bei der Gegenüberstellung von Wasserfall, Kanban und Scrum entstehen soll, gegeben. Und das in relativ kurzer Zeit und mit wenig Aufwand. Daher vielleicht gut geeignet, wenn wenig Zeit oder Platz da ist oder der Transport von Lego zu aufwendig wäre.

Eine genaue Anleitung zum Nachspielen gibt es auf teamworkblog.de.

eduScrum

Nach einer guten Portion Chili con Carne in der Kantine der Max-Eyth-Schule ging es zum eduScrum-Workshop. Willy Wijnands, der eduScrum auf der Grundlage des ScrumGuides entwickelt hat, stellte gemeinsam mit Schülern aus den Niederlanden das auf Selbstorganisation beruhende Lern- und Lehr-Framework vor. Dabei ging er zunächst auf die Werte und Prinzipien ein, die hinter eduScrum stehen. Diese Dinge waren für ihn besonders wichtig:

  • Die Schüler müssen vermittelt bekommen, warum (ich glaube eher er meinte „wofür”) die Schüler etwas lernen
  • Lernen zum Teamerfolg machen, was Ellbogen-Mentalität vorbeugen soll
  • Um im Team Lernergebnisse zu schaffen, braucht es Vertrauen, offene Kommunikation (und Konflikte), Selbstverpflichtung und Übernahme von Verantwortung

Für Schüler, die aus dem klassischen Frontal-Unterricht in so eine Umgebung geraten, ist so ein Wechsel vielleicht gar nicht so einfach.

Darauf haben wir in kleinen Teams ein „Flip” gebaut, was in eduScrum so etwas wie der Sprint Backlog ist, verschmolzen mit einer Team-Charter.

Leider war die Zeit für den Workshop recht knapp bemessen, vielleicht war der „Overload” aber auch gewollt. Ich denke, um alles zu verstehen, benötigt es sogar mehr Zeit als ein regulärer Scrum-Workshop. Das ist meiner Meinung nach auch deshalb so, weil eduScrum mit zusätzlichen Regeln ein engeres Korsett mitbringt als Scrum selbst. Ob Kinder hier mehr Regeln brauchen? Darüber lässt sich nachdenken. Bei mir hat es beim Mitmachen eher mehr Fragen und „falsches” Verhalten provoziert.

Details zu eduScrum und der eduScrum Guide finden sich auf der dazugehörigen Website.

Tag 2

Einige Teilnehmer schienen noch müde vom gemeinsamen Dinner am Vorabend zu sein. Ich konnte leider nicht teilnehmen, vielleicht beim nächsten Mal. Muss gut gewesen sein.

Bewaffnet mit Kaffee und Donuts setzten wir uns schon einmal in den Keynote-Raum, um auf Gunther Dueck zu warten. Ich hatte ihn kurz vorher schon an der Garderobe getroffen, hatte mich aber in einem Anfall von teenagerhaftigem Idol-Respekts nicht getraut, ihn persönlich zu begrüßen. Nun gut.

Shift Happens

Wer Gunther Dueck nicht kennt, den verweise ich auf die zahlreichen YouTube-Videos. Seine Vorträge bedienen sich aus einem großen Fundus interessanter und bedeutungsschwangerer Inhalte, die vor allem aus seinem Blog und seinen Büchern stammen. Der Fokus sollte auf dem Thema „Core Competence Shift (Happens)” liegen. Hierbei stellt er fest, dass zukünftig durch technologischen Fortschritt (nennen wir es vorsichtig „Digitalisierung”) Jobs teilweise oder ganz wegfallen. Wer noch arbeiten möchte oder kann, der muss ein ganz anderes Skill-Set mitbringen, was sich vor allem auf die Soft-Skills und People-Skills” bezieht: Empathie, Beziehungen herstellen und pflegen, Projekte organisieren, Kreativität, hohe Lernbereitschaft, Gesamtlösungen herstellen, Storytelling usw.

Gunther Dueck versteht es, seine Themen erzählerisch und mit Humor vorzutragen. Heute sollte es nicht anders sein. Er ging vor allem auf die Unterschiede zwischen Menschen ein: Es gibt Hunde und Katzen. Diese Unterschiede führen oft dazu, dass in Sachen Innovation und dringend notwendiger Veränderungen am Ende gar nichts passiert. Grund: Hund und Katze verstehen sich nicht. Katzen sind in der Unterzahl, besitzen aber die zukünftig vermehrt notwendigen Fähigkeiten. Die Katzen wollen etwas ändern, aber die Hunde sind an der Macht. In der Zwickmühle sitzen wir.

Quintessenz des Vortrags: Wir müssen endlich nicht nur überlegen (die Ideen sind jetzt da), wir müssen ins Machen kommen! Für die Anwesenden bedeutete das vor allem: An Schulen und im Schulsystem konkrete Veränderungen schaffen.

Nach dem Vortrag trafen wir uns noch einmal in einer kleineren Gruppe mit Gunther Dueck, um Fragen zu diskutieren. Hier konnte ich mitnehmen bzw. ich fühle mich darin bestätigt, dass wir bei Innovation und Veränderungsarbeit immer auch die Leute in ihrer jetzigen Rolle wertschätzen und ihre Sprache kennenlernen müssen. In fast allen Fällen führt das zu Win-win-Situationen und im allerbesten Fall wird ein neuer Mitstreiter gewonnen.

Fazit

Im Bildungswesen stellen sich die gleichen Fragen wie in der Wirtschaft: Was muss verändert werden, um auf eine sich immer schneller verändernde Umwelt zu reagieren? Wie gehen wir mit Unsicherheit um? Wie stellen wir sicher, dass der „Kunde” (die Gesellschaft?) stets das passende Produkt (den ausgebildeten Schüler, was auch immer das genau bedeutet?) erhält?

Für mich ergibt sich dadurch die Aufgabe und moralische Pflicht, dass die Wirtschaft (und andere Vertreter der Gesellschaft) viel enger mit dem Bildungswesen (vor allem den Schulen und Bildungsinitiativen vor Ort) zusammenarbeiten muss. Im Moment kommt es mir eher so vor, als gibt es ein allgemeines und wenig lösungsorientiertes Bildungs-Bashing. Ich bin selbst Ausbilder und bekomme vor allem mit, dass sich Unternehmen beim Sprechtag bei der Schule beschweren, statt lösungsorientiert mitzuwirken. Damit das gelingt, sind Initiativen von beiden Seiten gefordert. Zukünftig sollten auf solchen Konferenzen auch viel mehr Vertreter aus der Wirtschaft (und anderen Teilen der Gesellschaft) vertreten sein, um die Außensicht reinzubekommen. Das große Problem an solchen Konferenzen ist ja, dass hier „im eigenen Saft geschmort wird”. Die, die für die Lösung gebraucht werden, sind irgendwo anders.

Das Mahara Hui 2018 findet wohl in Wien statt. Ich versuche dort zu sein!

Impressionen finden sich unter #mahEU17.

Related Posts

Warum vs. Wofür: 5-Why

Die 5-Why-Methode: Wo sie aufhört zu funktionieren und was stattdessen nützlich ist.

1. Norddeutsches ScrumMaster-Gathering in Hannover

Kurzbericht von der Erstauflage des Events (nicht nur) für ScrumMaster.

Is X Allowed in Scrum?

Three Questions to Facilitate Decisions

No Product Owner, No Sprint Review?

What to Do, If There Is No Product Owner for the Sprint Review

Agile Building Games @ Spartakiade

LEGO Serious Play and LEGO Agile Games auf der Spartakiade in Berlin

Continuous Improvement Template

Support continuous improvement with the Continuous Improvement Template.

Moving the Blog

I'm moving my blog from Ghost to Jekyll.

Unread Email Count

My most reliable personal stress metric.

Scum and FrAgile

Feel free to contribute with hashtag #Scum and #FrAgile.

Organizational Culture

What is organizational culture and why you should care about it.